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1. Frau Hauser, was ist Ihre persönliche Motivation, sich mit Fragen der inklusiven Hochschulbildung zu beschäftigen?
An Hochschulen wird durch Forschung und Lehre Wissen generiert, welches Auswirkungen auf die soziale und auch politische Praxis hat. Lange wurde dieses Wissen in sozialwissenschaftlichen Fachbereichen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hervorgebracht und weitergegeben, die vom jeweiligen Forschungs- oder Lehrgegenstand kaum oder gar nicht persönlich betroffen waren. Dieser Zustand wurde in bestimmten Wissenschaftscommunities bereits seit den 1960er Jahren kritisiert. Auch in der Forschung und Lehre über Behinderung begannen sich vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Behinderungserfahrung für ein wissenschaftliches Arbeiten zu engagieren, das die Perspektive der Betroffenen direkt mit einbezieht. „Nothing about us – without us“ ist die Forderung, welche die Disability Studies seitdem prägt. Die Begründungen für diese Forderung sind vielfältig und beziehen sich auf ein emanzipatorisches Bestreben, nicht mehr länger zu Objekten der Wissenschaft gemacht zu werden, sondern alle Bereiche des Hochschullebens selbst aktiv mitzugestalten. Damit einher geht die Diskussion um die Qualität von Hochschularbeit und die Idee, dass durch inklusionsorientierte, transperspektivische Zusammenarbeit authentische, nutzerinnen- und nutzerorientierte und qualitativ hochwertige Ergebnisse hervorgebracht werden können. Diese Überzeugungen speisen auch meine Motivation. Die Erfahrung zeigt, dass es schwer ist, in den meist sehr exklusiv gestalteten Hochschulräumen partizipativ oder gar inklusiv zu arbeiten bzw. es ein hohes Maß an (Selbst-)Reflexion, Flexibilität und Kreativität erfordert. Die Anforderungen an Studierende, Lehrende und Forschende sind hoch und im Prinzip ist im Hochschulsystem inklusionsorientiertes Arbeiten strukturell kaum vorgesehen oder mitgedacht. Deshalb steht die Arbeit an Hochschulen – und damit die Möglichkeit zu studieren, zu forschen und zu lehren – keinesfalls allen Menschen offen. Das sollte sich ändern.
2. Wie würden Sie das ParLink-Projekt in einem Satz beschreiben?
ParLink ist ein partizipativ gestaltetes Verbundprojekt der Universität Leipzig, der Fachhochschule Köln und des Instituts für Inklusive Bildung aus Kiel, dass in Zusammenarbeit mit akademisch Forschenden, Studierenden und Dozierenden mit Lernschwierigkeiten Gelingensbedingungen für eine diversitätssensible Gestaltung der Lehre und eine inklusionsorientierte Hochschulentwicklung rekonstruiert.
3. In Ihrem Projekt geht es um Partizipative Hochschullehre, also Hochschullehre durch Menschen mit Lernschwierigkeiten. Was ist aus Ihrer Sicht der Gewinn partizipativer Hochschullehre?
Um etwas über den Gewinn partizipativer Hochschullehre sagen zu können, muss man sich den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren und deren Perspektiven zuwenden. Denn hier geht es nicht nur um den Gewinn auf rein wissenschaftlicher Ebene, sondern auch um Lebensentwürfe und persönliche sowie gesamtgesellschaftliche Weiterentwicklungen. So befinden sich beispielswiese Menschen mit Lernschwierigkeiten in vielen Fällen nach wie vor in einem System der Aussonderung. Sie werden von gesonderten Fahrzeugen zu gesonderten Bildungseinrichtungen gefahren, leben häufig in gesonderten Wohneinrichtungen, arbeiten in gesonderten Werkstätten und nehmen an gesonderten Freizeitaktivitäten teil. Die damit verbundene Unsichtbarkeit von Personen wirkt sich auf das gesellschaftliche Bild aus und speist sich gleichsam daraus.
Hochschulen können als hochexklusive Orte beschrieben werden. Der Weg, dort zu studieren, zu lehren und zu forschen ist mit Hürden verbunden – sei es durch den Numerus Clausus, die Note des Studienabschlusses oder die akademische (Weiter-)Qualifizierung. Dementsprechend ist bspw. die Lehrtätigkeit an einer Hochschule mit einem hohen gesellschaftlichen Status verbunden. Lehren nun Menschen mit Lernschwierigkeiten an einer Hochschule, partizipieren sie an diesem gesellschaftlichen Status, der ihnen im System der Aussonderung lebenslang verwehrt bleibt. Sie machen sich sichtbar und repräsentieren eine Personengruppe, über die bisher vornehmlich gesprochen wurde. Durch diese Präsenz erhalten die Studierenden und akademischen Mitarbeitenden neben dem Lernzuwachs auf der Inhaltsebene die Möglichkeit, ihr Bild von Menschen mit Behinderung zu reflektieren, Erfahrungen zu sammeln, sich auszutauschen und wechselseitig am Leben der anderen zu partizipieren. Gleichsam bieten sich für die Lehrenden mit Behinderungserfahrung wichtige Teilhabemöglichkeiten und diese können Teil eines emanzipatorischen Prozesses sein. Auf diese Weisen wird neues Wissen generiert, welches in die Welt hinausgelangt und dort vermag, Veränderungen anzuregen.
4. Sie untersuchen im Projekt unterschiedliche Perspektiven auf partizipative Hochschullehre und inklusionsorientierte Hochschulentwicklung. Was sind Ihre Eindrücke bislang?
Unsere Eindrücke sind vielfältig, und ich nenne hier nur ein Beispiel. So konnten wir bisher wahrnehmen, dass es sehr unterschiedliche Perspektiven auf Inklusion gibt. Je nach Erfahrungshintergrund und auch individueller Einstellung unterscheidet es sich, was die von uns untersuchten Personen(gruppen) jeweils unter Inklusion verstehen, wie sich Inklusion aus ihrer Sicht in der Hochschulentwicklung zeigt, wem und auf welche Art partizipative Hochschullehre nach ihrer Einschätzung nützlich sein kann und wo die Fallstricke dieser Entwicklungen liegen. Diese Perspektiven schlüsseln wir in unserem Projekt auf, denn sie können uns Hinweise geben, wie partizipative Lehre als Teil inklusionsorientierter Hochschulentwicklung gelingen kann.
5. Was war bisher für Sie die erstaunlichste Erkenntnis im Projekt?
Eine wichtige Erkenntnis bezieht sich auf den Forschungsprozess selbst. Wir forschen in unserem Projekt mit partizipativen Anteilen. Das heißt, wir arbeiten gemeinsam mit einer Forschungsgruppe bestehend aus Studierenden und Dozierenden mit Lernschwierigkeiten, die den Forschungsprozess begleiten und sich an wesentlichen Punkten der Datenerhebung und -analyse beteiligen. Diese Zusammenarbeit erfordert ein hohes Maß an Kreativität, um den individuellen Voraussetzungen und Bedarfen aller (Mit-)Forschenden gerecht zu werden und der Forschungsgruppe Rechnung zu tragen, deren Teilnehmende nahezu unentgeltlich über drei Jahre mit uns arbeiten. Zudem leben und arbeiten die Teilnehmenden der Forschungsgruppe regional sehr verstreut und wir treffen uns nur zwei bis dreimal jährlich persönlich – seit dem Auftreten der Corona-Pandemie sogar ausschließlich im digitalen Format. Für die Zeit zwischen den Treffen und auch bei den Treffen selbst braucht es kreative Kommunikations-, Vermittlungs- und Arbeitsformen, die unser Forschungsrad am Laufen halten – und diese bilden einen großen Erkenntnisrahmen für partizipationsorientierte Forschung und sind ein großer Zugewinn.
6. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um inklusive Bildung an Hochschulen umzusetzen?
Aus meiner Sicht, und mit Blick auf meine bisherigen Erfahrungen, betreffen die notwendigen Veränderungen alle Ebenen des Hochschulsystems – von den Zugangsvoraussetzungen zu Hochschulen, über die Lehr-, Lern- und Forschungsbedingungen bis zu den machtvollen Strukturen in akademischen Settings. Hier sind Veränderungen notwendig, die sowohl die strukturellen Gegebenheiten an den Hochschulen einschließen als auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe formuliert werden müssen. Denn die vorhin bereits angesprochene Exklusivität des Hochschulraums generiert sich nicht allein aus der Hochschule selbst, sondern ist Teil einer Gesellschaftsstruktur und -kultur, die wir alle mitbedingen. So ist inklusive Bildung an Hochschulen ein Teil eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses, der diesen fördert und mitgestaltet und gleichsam durch diesen gestaltet wird. Dadurch ergibt sich eine große Vielzahl an Einflussfaktoren und Notwendigkeiten, die zur Umsetzung inklusiv gestalteter Hochschulbildung beitragen können.
Ein konkretes Beispiel eines Einflussfaktors wird mit Blick auf die Zugangsvoraussetzungen zu Hochschulen offenbar. Vornehmlich entscheidet bisher die bestandene Abiturprüfung über die Möglichkeit, an einer Hochschule zu studieren und weiterführend zu lehren und zu forschen. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten bleibt dieser Zugang, so wie für alle anderen Personen, die über keinen beziehungsweise keinen adäquaten Schulabschluss verfügen, mindestens rein formal verwehrt. Das heißt, dass diese Personengruppen in der Hochschulbildung nicht repräsentiert sind und demzufolge auch ihre Perspektiven maximal durch Stellvertreterinnen und -vertreter vertreten werden können. Und diese Exklusivität hat Konsequenzen für die Wissensproduktion an Hochschulen. Um die Diversität unserer Gesellschaft auch in den Hochschulbereichen abzubilden und damit inklusive Bildung zu ermöglichen, müssen diese strikten Zugangsbarrieren überdacht und reformiert werden.
Dr. Mandy Hauser arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet „Pädagogik im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung“ an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Im Projekt ParLink forscht sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen* zu Partizipativer Lehre im Kontext inklusionssensibler Hochschulentwicklung.