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Interview mit Alexander Linden, Berufschullehrer an der Mathilde-Planck-Schule in Lörrach

1. Herr Linden, was hat Sie motiviert, an einem Forschungsprojekt über inklusionsorientierte Fort- und Weiterbildungskonzepte mitzuwirken?

Auf der einen Seite bin ich der festen Überzeugung, dass ein weites Verständnis von Inklusion, also ein Verständnis, das Inklusion nicht nur auf die Integration von behinderten bzw. körperlich beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler reduziert, im Schulsystem die richtige Antwort auf die Heterogenität der Schülerschaft bezüglich sozialer und kultureller Herkunft sowie körperlicher und kognitiver Voraussetzungen ist. Deshalb wollte ich für meine Praxis im Projekt neue Impulse, auch in der Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen anderer Schulformen, gewinnen.

Auf der anderen Seite interessiert mich das Thema auch theoretisch. Ich wollte mein Bild über den Stand der Diskussion im schulpädagogischen Bereich erweitern. Ich arbeite hauptsächlich in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. In diesem Feld ist das Konzept der Inklusion ebenso sehr relevant. Ich finde es persönlich sehr wichtig, das Bildungssystem im Gesamten in inklusiver Richtung weiterzuentwickeln. Deshalb interessiere ich mich besonders für die Berührungspunkte der einzelnen Teilbereiche des Bildungssystems, hier also der Beruflichen Bildung mit der Frühpädagogik/Elementarpädagogik.

2. Hatten Sie, unabhängig vom Forschungsprojekt, bislang Berührung mit inklusionsorientierter Fort- und Weiterbildung?

Ich habe an einer Fortbildung des Life-Skills Programms „Lions Quest Erwachsen werden“ teilgenommen. Außerdem habe ich an der Entwicklung des Folgeprogramms „Lions Quest Erwachsen handeln“ selbst mitgewirkt. Vor allem das zweitgenannte kann man meines Erachtens durchaus auch als „inklusionsorientiert“ verstehen. Hier sollen in kooperativer Form grundlegende und vertiefende Kompetenzen zur sozialen, gesellschaftlichen und politischen Teilhabe vermittelt werden. Außerdem habe ich an einer zweijährigen In-House Fortbildung an meiner (beruflichen) Schule zur „Individuellen Förderung“ teilgenommen. Dies kann durchaus, wenn es richtig gemacht wird, als didaktische Umsetzung von inklusiven Idealen verstanden werden.

3. Wenn Sie an Ihren Arbeitsalltag denken, wo sehen sie die größten Herausforderungen für inklusive Bildung an Schulen?

Ich denke, dass zentrale Probleme, oder besser gesagt, Barrieren für inklusive Bildung hauptsächlich in der mangelnden Strukturqualität begründet liegen: Die Klassen sind zu groß und die Räume zu klein, sodass kooperatives Lernen nicht konsequent umgesetzt werden kann. Das Betreuungsverhältnis von Lehrerinnen und Lehrern zu Schülerinnen und Schülern ist zu unausgewogen. Somit lässt sich wirkliche individuelle Förderung bzw. die Unterstützung von individuellen Bildungsprozessen nicht angemessen bewerkstelligen. Letztlich sind auch Lehrpläne zu überladen und Prüfungsanforderungen zu absolutistisch und zu hierarchisch aufgebaut. Dies führt insgesamt auch schnell zu Frustration und Stress beim Lehrpersonal. Hierunter leidet wiederum die Legitimität für progressive pädagogische Konzepte, wie jenes der Inklusion. Man macht deshalb fälschlicherweise das Konzept für die praktischen Probleme verantwortlich und sucht die Lösung in eigentlich überkommenen schulischen Konzepten.

4. Was können die Forschenden durch die Zusammenarbeit mit Ihrer Schule in Bezug auf inklusive Fort- und Weiterbildungskonzepte lernen? Haben Sie konkrete Anregungen und Wünsche hinsichtlich der Inklusion in Ihrem Arbeitsalltag?

Meiner Ansicht nach hat die Corona-Krise (unter anderem) deutlich das Problem im Zusammenhang von Digitalisierung und Bildungsungleichheit aufgezeigt. Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Milieus haben überproportional häufiger Schwierigkeiten mit selbstgesteuerten Bildungsprozessen klar zu kommen. Sie haben sogar große Probleme, digital vermittelte Bildungsangebote wahrzunehmen, etwa, weil schlicht die technische Infrastruktur und die Medienkompetenz fehlen. Ich denke, deshalb wäre es sehr angebracht die Digitalisierung an Schulen radikal inklusiv zu denken, sodass nicht breite Schülerschichten auf der Strecke bleiben und noch weiter abgehängt werden. Hierfür ist zum einen die Förderung der medialen und der didaktischen Kompetenzen der Lehrpersonen sowie der Schülerinnen und Schüler und zum anderen die technische und mediale Infrastruktur der Schulen (und damit auch der Schülerinnen und Schüler) notwendig. Es geht also zusätzlich um die Frage, wie Individualisierung und individuelle Förderung digital und mit nicht direkter, persönlicher Kommunikation gelingen kann. Meiner Ansicht nach kann die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit nicht in althergebrachten Konzepten von Schule, wie exklusivem zentralisiertem, frontalem Präsenzunterricht, liegen.

5. Und was war bislang das größte Erfolgserlebnis, das Sie im inklusiven Unterricht erlebt haben?

Ich gehe regelmäßig auf die wichtige Bedeutung von Inklusion in den Bildungsgängen angehender Erzieherinnen und Erzieher ein. Meine persönlichen Erfolgserlebnisse erlebe ich deshalb häufig hinsichtlich einer doppelten Vermittlungsebene: Wenn zum Beispiel angehende Erzieherinnen und Erzieher ihre anfänglichen Vorbehalte gegenüber der Inklusion ausräumen und ihre professionelle Haltung stärken und präzisieren können. Es freut mich immer sehr, wenn ich auf Inklusion bezogen professionelle und handlungskompetente Erzieherinnen und Erzieher aus der Ausbildung in eine vielleicht 40-jährige Berufstätigkeit gehen sehe. Diesen Einfluss auf nachhaltige Veränderung, der aus der Rolle der Multiplikatorin bzw. des Multiplikators entsteht, unterschätzen Lehrerinnen und Lehrer, vor allem an beruflichen Schulen häufig noch. Aber auch direkte Inklusionsprozesse habe ich in meiner Laufbahn schon erlebt. Zum Beispiel wenn Schülerinnen und Schüler aus weit entfernten Ländern, zum Beispiel aus Äthiopien und China, aber auch mit Fluchthintergrund aus Syrien, ihre Ausbildung erfolgreich absolvieren konnten, unterstützt durch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Diese Inklusionsprozesse werden mir noch sehr lange in guter Erinnerung bleiben.
 

Portraitfoto des Interviewpartners Alexander Linden

Alexander Linden

Alexander Linden arbeitet seit 2012 an der Mathilde-Planck-Schule in Lörrach, Projektschule des StiEL-Projekts, in der Erzieherinnen- und Erzieher-Ausbildung und im sozialwissenschaftlichen Gymnasium mit den Fächern Sozialpädagogik und Pädagogik/Psychologie. Er ist Mitglied eines Teams von Lehrkräften an einer der im StiEL-Projekt beteiligten beruflichen Schulen. Im Rahmen des StiEL-Projektes nehmen Lehr- und pädagogische Fachkräfte aus angeworbenen Projektschulen an einer inklusionsorientierten Fortbildung teil und unterstützen deren Evaluation.